Van der Graaf Generator und Peter Hammill: Art-Rock’s zweites Leben

Peter Hammill

Die Historie der Rockmusik hält erstaunliche Geschichten bereit

Hier ist eine davon. Es geht um die Art-Rock-Gruppe „Van der Graaf Generator“, die Ende der 1960er und im Verlauf der 1970er Jahre bekannt geworden war. Jeder Intellektuelle hatte damals bei „Van der Graaf Generator“ ein gedankliches Lesezeichen gesetzt. Dann verschwand die Gruppe nach nicht sehr vielen Alben in der Versenkung – um ganze drei Jahrzehnte später als wäre nichts geschehen dort anzuknüpfen, wo sie die Musikszene verlassen hatte.

Mastermind Peter Hammill

Der Kopf der Band, Peter Hammill, hat seit damals Solo-Pfade beschritten und lange Zeit fast jedes Jahr in schöner Regelmäßigkeit ein Album veröffentlicht. Nimmt man neben seinen 28 Studio-Alben die Live-Alben und musikalischen Kooperations-Projekte hinzu, kommt man auf 50 Solo-Alben. Hinzu kommen zwischen 1969-1977 acht Studio-Alben mit „Van der Graaf Generator“ und ein Live-Doppelalbum. Nachdem die Band 2005 wieder zueinander gefunden hatte, sind drei Studio- und zwei Live-Alben erschienen, davon „A Grounding in Numbers“ im März diesen Jahres.

Art Rocker: „King Crimson“, „Yes“, „Van der Graaf Generator“

Es gibt nicht viele Gruppen der Rockmusik, die so außergewöhnliche musikalische Konzepte realisiert haben. Neben „King Crimson“ und „Genesis“ zu Zeiten, als Peter Gabriel noch mit dabei war, gehörten „Van der Graaf Generator“ zum schillernsten Kern anspruchsvoller Rockmusik. Wobei die beiden vorgenannten Gruppen viele liebliche und überästhetisierte Elemente in ihre Musik integrierten, die die Musik konsumierbar machten. „Van der Graaf Generator“ waren sowohl musikalisch, textlich und vom Gesang her so etwas wie der Franz Kafka der Rockmusik: Sehr ernsthaft, düster und ungewöhnlich, die Texte behandelten bedrückende, existenzialistische Themen, manchmal ideel und musikalisch am Rande des Irrsinns balancierend.

Robert Fripp und Peter Hammill

Während „King Crimson“ das Werk von Robert Fripp waren, der als lenkender und inspirierender Creative-Director über Jahrzehnte hinweg die Geschicke aufeinander folgender Formationen gelenkt hatte und ein breitest mögliches musikalisches Spektrum vom Pop-Song, über Rockmusik bis zu Elektronic-Experimenten schuf, erkundeten „Van der Graaf Generator“ ihr musikalisches Terrain innerhalb eines ganz klar wiedererkennbaren Sound-Systems, das heute etwas altmodisch anmutet. Es gibt aber wohl keinen anderen Art-Rock-Musiker, der so facettenreich gearbeitet hat wie Peter Hammill und dabei wegweisende Platten geschaffen hat. Er hat mit dem Solo-Album „Nadir’s big Chance“ die Punk-Musik beeinflusst, hat auf „The Future now“ mit sehr eigenen elektronischen Sounds experimentiert, immer auch klassische Musik mit einfließen lassen oder mit Alben wie „A black box“ und seinen wunderbaren Gesangs-Arrangements und der reinen Klaviermusik in „As close as this“ sehr unterschiedliche aber immer beeindruckende musikalische Kunstwerke geschaffen.

Der musikalische Extremismus von „Van der Graaf Generator“

Zwischenzeitlich waren bei Hammill die Experimente und die introspektiven Groß-Themen einer persönlichen Innerlichkeit und einer relativen musikalischen Gleichförmigkeit gewichen. Die Frage, die sich stellte, als sich „Van der Graaf Generator“ 2005 wiedervereinigten, mußte lauten, ob die Altherren-Band noch in der Lage war, Neues zu schaffen, oder ob sie die vergangenen Standards repetieren würden, wie viele andere vor ihnen. „Van der Graaf Generator“ waren eine extreme Band gewesen, die bis an ihre Grenzen gegangen war. Wo sollte die Kraft für neue musikalische Exzesse herkommen? Von vier Übersechzigjährigen? Es sollte aber nach der Wieder-Vereinigung etwas geschehen, mit dem wohl niemand gerechnet hatte.

Ein außergewöhnliches Line-Up macht den Unterschied

„Van der Graaf Generator“ waren, was ihren Sound anbelangt, ein Unikat. Schon die Instrumentierung spricht Bände: Wo bei den meisten Rock-Bands die Gitarre als tonangebend gilt und als Instrument, das Wiedererkennbarkeit bringt, hat sich „Van der Graaf Generator“ für ein Line-Up entschieden, das zwischen den Keyboards des Sixties-Rock und saxophongeprägtem Jazz lag. Denn dominierend waren Hugh Bantons Orgel und David Jacksons Saxophon und Flöten. Während die Klänge der Orgel oft genug die musikalische Basis bildeten, war das Saxophon das expressive Leit-Instrument. Zwischen beiden Musikern vollzog sich das charakteristische musikalische Gemisch, das sowohl die Schwere Bachscher Orgelläufe aufwies und manchmal die Energie freier Jazz-Formen. Als die Gruppe 1976 in der alten Formation auseinanderbrach, ersetzte Peter Hammill die beiden Instrumente durch Cello und Geige und gab seiner Gitarre mehr Raum. Wieder zelebrierte die Gruppe, die sich für zwei Alben kurz „Van der Graaf“ nannte, einen Stil, der mit nichts vergleichbar war. Als Solo-Künstler beschritt Hammill später ganz andere Pfade. Oft nur von Gitarre oder Klavier begleitet, wirkte er gerade in seiner Spät-Phase viel puristischer als „Van der Graaf Generator“. Selbst sein Gesang, der zu besten Zeiten höchst artifiziell über mehrere Oktaven gehen konnte und ebenfalls zum charkteristischen Stil der Gruppe beigetragen hatte, wurde solo immer unmodulierter und sonorer.

Puristische Musik ohne „Tricks“: Peter Hammill und die pure Musik

Eine herkömmliche Musik-Produktion kann man in Analogie zur Essens-Zubereitung sehen. Den wahren Geschmack beispielsweise einer Kartoffel schmeckt man nicht, wenn man zuviel Soße dazu gibt. Zu kochen bedeutet in der Regel, den ursprünglichen Geschmack zu verfeinern oder sogar anders erscheinen zu lassen. Zumindest ohne die berühmte Prise Salz geht es keinesfalls. Ergänzende Zutaten überdecken den Ausgangs-Geschmack. Das ist wie beim Schminken: Etwas Kajal, etwas Puder und Lidschatten verändern das Aussehen eines Gesichtes beträchtlich. Zuviel Schminke läßt den eigentlichen Charakter einer Person aber andererseits verschwinden. Genau so ist es in der Regel auch bei der Musik. Die Instrumentierung, das Arrangement der einzelnen musikalischen Beiträge innerhalb einer Gruppe, und die Produktion, die letztlich den Sound festlegt, können das Wesentliche der Komposition herausarbeiten, es schärfen oder zudecken, unter Umständen bis die Komposition nicht mehr zu erkennen ist. Produzenten haben also viel mit Köchen und Visagisten gemein: Manchmal scheint es fast egal zu sein, ob das Ausgangs-Material gut ist oder nicht. Ein guter Produzent kann aus der schlechtesten Komposition etwas machen. Es gibt nur sehr wenige Musiker, die den Mut aufbringen, unter Verzicht auf Hilfsmittel zum eigentlichen Kern ihrer Musik vorzudringen. Das ist ein Prozess, eine Reise zur unverstellten Musik, die wie eine Wüste wirkt, entledigt allen unnötigen Balasts, muß die Komposition und der simple aber gefühlvolle oder leidenschaftliche Vortrag überzeugen. Peter Hammill hat nach einer intensiven Experimental-Phase in den 1970er Jahren auf immer mehr Tricks und Spielereien verzichtet, hat oft sehr spärlich arrangiert und produziert, hat seine Gitarre genommen oder sich ans Klavier gesetzt und sich auf eine unverstellte Reise zum Kern seiner Musik gewagt. Das manchmal um den Preis der Gleichförmigkeit, der Langeweile, der Gestrigkeit, sogar der Innovations-Feindlichkeit. So wirkte er zuletzt oft wie aus der Zeit gefallen. Die ersten Solo-Platten testeten alle denkbaren musikalischen Möglichkeiten aus. Es gab ein komplettes, sehr stilles Singer-Songwriter-Album wie „Over“ in dem er meisterlich eine verlorene Liebe aufarbeitete. Es gab eine Platte wie the „Future Now“, auf der er auf eine widerspenstige und höchst eigenwillige Art elektronische Hilfsmittel einsetzte. Später auf „A Black Box“ arrangierte er seine mehrstimmigen Gesänge wieder so dramatisch und extrem wie zu „Van Der Graaf Generator“-Zeiten während es auf „As close as this“ eher klassische Klaviermusik zu hören gab. Die musikalischen Experimente in den Folge-Jahrzehnten vollzogen sich im Kleinen, in den Arrangements, in der Art ein Instrument zu spielen und es einzusetzen. Das hatte aber nichts mehr gemein mit den großen musikalischen Schritten der Anfangszeit. Dennoch bleibt Peter Hammill einer der meist-respektierten Musiker des Business, weil er einer der ganz Wenigen ist, die nie kommerzielle Zugeständnisse gemacht haben. Man konnte ihn darüber klagen hören, dass „Genesis“ die Super-Gruppe des Art-Rock geworden waren, und er schrieb es der mangelnden Unterstützung durch seine Plattenfirma zu, dass „Van der Graaf Generator“ finanziell nie richtig erfolgreich geworden waren, trotz Nummer-Eins-Plazierungen in der italienischen Hitparade und weiteren Achtungserfolgen.

Peter Hammill als Solo-Musiker

Die alten „Van der Graaf Generator“-Mitstreiter jedenfalls fanden sich als Gast-Musiker auf Soloplatten Hammills wieder oder versuchten ohne ihn unter dem altem Bandnamen Platten zu veröffentlichen. Diese Versuche waren rein instrumental, kommerzieller angelegt, aber weder hatten sie mit dem komplexen alten Ansatz zu tun noch waren sie erfolgreich. Peter Hammill wurde über drei Jahrzehnte zum Welt-Reisenden in Sachen anspruchsvoller Musik, gab meistens solo auf jedem Kontinent Konzerte und nutzte frühzeitig das Internet, um seine Musik zu promoten und den Kontakt zu den Fans zu halten. Dabei weiß man insgesamt gar nicht, was man mehr bewundern soll: Die Qualität der Musik oder die produktive Kontinuität, die Hammill an den Tag legte. Man kann wohl sagen, dass es unter den Art-Rockern niemanden gibt, der ein solches Oeuvre vorzuweisen hat wie er. Andere, die brilliante musikalische Konzepte realisierten, waren weit weniger kontinuierlich, weniger innovativ. Einzige Ausnahme: Robert Fripp mit „King Crimson“ und vielleicht Brian Eno, wenn man seine prägende Einflußnahme als Produzent hinzunimmt. Der stetige Wandel bei bei „King Crimson“ führte zu wechselnden Besetzungen und immer neuen Sounds, die den unverwechselbaren roten Faden vermissen ließen. Während „Van der Graaf Generator“ und Peter Hammill bei allem experimentellen Willen und allen musikalischen Variationen klar identifizierbar blieben, wurden „King Crimson“ von immer neuen Protagonisten und immer neuen Sounds bis zur Unkenntlichkeit reformiert – daran sollte auch die eigenständige Gitarren-Arbeit Robert Fripps nichts ändern.

„Van der Graaf Generator“ nach der Auflösung

Peter Hammill hatte „Van der Graaf Generator“ in der alten Besetzung aufgelöst, wohl weil der kommerzielle Erfolg ausgeblieben war, aber auch weil er sich im musikalischen Rahmen der Band zu eingeengt gefühlt hatte. Für das furiose Album „The Quiet Zone/The Pleasure Dome“ von 1977 hatte er sich neue und alte Mitstreiter gesucht, schuf einen veränderten Sound und eines der besten Alben des Art-Rock überhaupt, nachdem schon „Pawn Hearts“ von 1971 das vielleicht beste Album dieser Gattung geworden war. 1978 kam das Doppel-Live-Album „Vital“ heraus, das ungeahnt kraftvoll und brachial daherkam. Es sollte das überzeugendste Live-Album bleiben, das Van der Graaf herausbringen würden. Dann war Schluß mit den Bandaktivitäten. Peter Hammill widmete sich seinen Solo-Projekten. Die Fans, die musikalische Großtaten gewohnt waren, erlebten mit, dass die Musik Hammills immer persönlicher und immer unspektakulärer wurde. Die Kompositionen, vor allem aber die gesangliche Intonation und die Arrangements glichen sich immer mehr. Hammill unterlief seinen musikalischen Anspruch auch deshalb, weil er nicht nur Musiker und Komponist war sondern auch ein Dichter, der literarische Qualität anstrebte. Seine Songtexte wirkten schon immer, als wären sie als Gedichte verfasst worden. So kam es wohl, dass Hammill sich als Künstler zunehmend auf seine verbalen Botschaften konzentrierte und die Musik mitunter in den Hintergrund trat. Zur Ehren-Rettung Hammills sei aber erwähnt, dass seine Musik zwar unspektakulärer wurde, ihr Niveau dennoch beeindruckend blieb. Dem musikalisch innovativen Jahrzehnt der 1970 Jahre folgte spätestens nach den 1980er Jahren eine Art progressiver Singer-Songwriter-Phase, die aber immer wieder von Veröffentlichungen unterbrochen wurden, die das Schema variierten.

„Present“, das erste neue Studioalbum nach Jahrzehnten

Schließlich erschien 2005, sage und schreibe 28 Jahre nach dem letzten Studioalbum, zur großen Überraschung der anspruchsvollen Rockmusik-Gemeinde ein neues Studioalbum unter dem Titel „Present“ in der Besetzung, die den typischen Sound der Gruppe geprägt hatte: Peter Hammill, David Jackson, Hugh Banton und Guy Evans. Die Gruppe schloß quasi nahtlos an den Sound vor 1977 an. Hammill hatte 2003 einen Herzinfarkt erlitten, vielleicht ein Anlaß, sich vergangener Zeiten zu besinnen und musikalisch noch einmal etwas neues (Altes) anzufangen und bei den Aktivitäten der Vergangenheit anzuknüpfen. Der Akt der musikalischen Rückbesinnung birgt einen Stolperstein: Kann ein Musiker mit einem inzwischen hochklassigen aber wenig überraschenden solistischen Musik-Konzept, etwas Neues schaffen, indem er ein anderes, überlebtes, musikalisches Konzept aktiviert? „Present“ ist ein Doppelalbum, dessen zweite CD, aus einer JamSession entstanden, rein instrumental ist, mit langen improvisierten Passagen, die Spielfreude zeigen und eine Band, die deutlich gereift homogen zusammenspielt. Sound, Produktion und Arrangements wirkten geradezu perfekt. Der Gesang Peter Hammills war hier, gemessen an seinen Ausdrucksmöglichkeiten, einmal mehr etwas hölzern. Das Saxophon David Jacksons dominierte die musikalische Gestalt der Stücke. Dieser Sound zwischen Soxophon, Orgel, Flöte und Gitarre ist einmalig in der Rockmusik, andererseits wirkt er in seinen getragenen Momenten old-fashioned. Erstaunlich war aber, mit welcher Leidenschaft und innerer Kraft die Stücke eingespielt wurden. Gerade die zweite Instrumental-Seite zeigte „Van der Graaf Generator“ von einer gänzlich neuen Seite. Behäbigkeit klingt anders. Soviel musikalisches Können kann nie langweilig sein. Und dennoch: Auf die Frage „Brauchen wir diese Platte?“ fällt die Antwort nicht eindeutig aus. Vielleicht auch, weil „Van der Graaf Generator“ nie ein schlechtes Album eingespielt hatten und alles andere als eine Steigerung die Erwartungshaltung enttäuscht. Genügt es, wenn Profi-Musiker sich einmal mehr im gewohnten musikalischen Kosmos bewegen? Bemerkenswert jedenfalls, dass Hammill seine dreckige E-Gitarre ausgegraben hat und sich Duelle mit David Jacksons Saxophon liefert. Interessant auch, dass Hammill nicht mehr der gottgleiche Allein-Komponist der Band ist. Dass die Musiker in ihren 60ern sind, hört man keiner Note an. Die Kompositionen, die Improvisationen und die Spielfreude im Zusammenspiel der Gruppe überzeugten.

Das Live-Doppelalbum „Real Time“

Dann kam die schlechte Nachricht: Es kam zum Zerwürfnis mit David Jackson, dem Saxophonisten, der so sehr den Sound der Gruppe geprägt hatte. Das Livealbum „Real Time“, das 2007 erschienen war, aber Konzert-Aufnahmen von 2005 enthielt, entstand noch mit Jackson an Bord. Der Großteil des Doppel-Albums bestand aus „Van-der-Graaf-Generator“-Klassikern, zwei Stücke des Albums „Present“ waren darin enthalten. Einmal mehr konnte man sich vor Augen führen, welch großartige Songs die Band in ihrer Geschichte geschaffen hatten. Der Weggang Jacksons jedoch hätte das Aus sein müssen, die Gruppe entschied sich aber überraschenderweise dafür, zu dritt weiterzumachen. Orgel und Gitarre allein? Wie würde das klingen?

Das zweite neue Studio-Album nach der Reunion: „Trisector“

2008 drei Jahre nach dem Reunion-Album erschien „Trisector“ als Trio mit Keyboards, Schlagzeug und Gitarre. Und siehe da, die Band veröffentlichte ein Album, das interessanter war als „Present“. Wir erinnern uns: Schon einmal, nach „World Record“ von 1976 hatte die Band zu neuen Sounds gefunden, kürzere Stücke eingespielt, war schneller und musikalisch beweglicher geworden. Auf „Trisector“ waren nun Sounds zu hören, die man von „Van der Graaf Generator“ nicht kannte: Einfache Rock-Nummern zum Beispiel. Was aber insgesamt überraschte, war, dass die Band den Weggang Jacksons ausgleichen konnte, ohne dass man ihn vermisste. Es waren sehr schöne Kompositionen enthalten und wo „Present“ vor instrumentaler Potenz geradezu strotzte, war auf „Trisector“ weniger mehr. Die sparsamere Instrumentierung setzte auf musikalische Spannungsbögen wie im famosen „Only in a Whisper“, das sich nahtlos in die zeitlosen Kompositionen „Van der Graaf Generators“ einreihte. Die Band schien überhaupt näher zusammenzurücken: Alle Kompositionen bis auf eine wurden als Gemeinschaftsarbeit angegeben. „Trisector“, wesentlich weniger homogen als „Present“, das war eine Band auf dem Selbstfindungs-Trip zwischen kunstvoller Improvisation und straightem Rock. Wie würde die Reise weitergehen?

Das zweite Live-Doppelalbum nach der Reunion: „Live at the Paradiso“

Zunächst erschien 2009 das Doppelalbum „Live at the Paradiso“ mit Konzert-Aufnahmen von 2007 als Jackson schon nicht mehr mit dabei war. Die Band mußte hier beweisen, dass sie auch live seine Abwesenheit ausgleichen konnte – bei den komplexen Stücken kein leichtes Unterfangen. In der Regel interpretieren die Keyborads Hugh Bantons den Part des fehlenden Saxophons, manchmal Peter Hammill mit der E-Gitarre. Die Band klingt durch den verstärkten Gitarren-Einsatz rockiger, entschlackter, aber nicht immer wirken die Arrangements gelungen. Es genügt nicht, eine instrumentale Lücke nur auszugleichen. Manchmal wäre es besser gewesen, sie völlig neu zu arrangieren. Den Keybords fehlt der starke Konterpart, den Hammills Gitarre nicht ausfüllen kann. Bei langsamen Stücken wie „Lifetime“ spielt das Fehlen des Saxophons jedoch keine Rolle. Immer noch verstärkt sich der Eindruck einer Band, die sich sucht. Dass sie den Mut aufbringt, ihr dichtes musikalisches Konzept zu dritt auch live umzusetzen, spricht für das Selbstbewußtsein der Band.

Das dritte Studio-Album „A Grounding in Numbers“

Im März 2011 schließlich erschien das dritte Studio-Album „A Grounding in Numbers“ und damit das zweite in der Dreier-Besetzung. Die Stücke tragen die Credits aller drei Band-Mitglieder, die Songs sind für „Van-der-Graaf-Generator“-Verhältnisse kurz, die Kompositionen zwingend. Hugh Padgham hat das Mixing übernommen. Der bekannte Produzent hat in seiner langen Karriere für Progressive-Rock-Gruppen wie „Yes“, „Emerson, Lake and Palmer“, „Genesis“ oder für Gruppen wie „Police“ gearbeitet, was dem präzis-transparenten Klang der Stücke gut getan hat. Mit dem Album hat „Van der Graaf Generator“ ein ausgereiftes Werk abgeliefert, das sich innerhalb seiner Band-Geschichte sehen lassen kann. Ein neues musikalisches Konzept hat seinen Ausdruck gefunden. Das Trio hat auf „A Grounding in Numbers“ mehr erreicht, als ihren prägenden Saxophonisten einfach nur zu ersetzen, es setzt die Instrumentierung facettenreicher ein, hat aus der ehemaligen Not eine Tugend gemacht. So gesehen hat der Weggang Jacksons die Band dazu beflügelt, sich neu zu erfinden. Aus der Katastrophe ist eine Chance geworden, ausgetretene Pfade zu verlassen. Produktion und Arrangements wirken rund. Die Band ist bei einem neuen Sound angekommen, ohne ihre Wurzeln zu verleugnen. Damit hat sie den Faden, der seit drei Jahrzehnten lose dalag, aufgenommen und weitergesponnen – etwas, das keiner anderen Art-Rock-Band überzeugend gelungen ist. Wenn man „Embarassing Kid“ auf dem Album hört, muß man an Hammill’s Solostück „Nadir’s big Chance“ zurückdenken, das ähnlich rotzig daherkam – und muß verblüfft feststellen, dass zwischen den beiden Stücken 36 Jahre liegen. Es bleibt spannend.

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